LEGO® statt Powerpoint

Generationen von Kindern sind mit LEGO®-Steinen groß geworden. Nun haben sie sogar in Vorstandsetagen Einzug gehalten – als Managementinstrument. Dank der bunten Klötzchen können Fragestellungen und Probleme anschaulich und (an)fassbar gemacht werden. Ich lade Sie zu einer kurzen Reise ein. Einer Reise zurück in unsere Kindertage. Die meisten von uns hatten eine große Kiste mit bunten LEGO®-Steinen unterschiedlichster Größe und Formen, die wir mit Feuereifer im ganzen Wohnzimmer verteilten, bunte Stolpersteine. Unsere Eltern waren trotzdem glücklich, wenn wir, ganz vertieft in uns selbst und unser Spiel, fantastische Dinge bauten und unsere Geschichten erzählten. Natürlich mussten wir hinterher alles wieder aufräumen, aber das Ergebnis war sichtbar. So wuchsen wir – mit LEGO®. Bis die Probleme größer wurden und LEGO® zu klein, das Unternehmen Marktanteile verlor und sich im Kinderzimmer Barbie, Playmobil und die ersten Playstations ausbreiteten. Stein des Weisen oder Stolperstein? Aber jetzt kommen die bunten Steine zurück, ins Büro statt ins Wohnzimmer. Und statt um kindliches Spiel geht es um Strategieentwicklung. Geblieben ist die kindliche Freude am Klötzchen und am Storytelling, wie es heute auf Neudeutsch heißt, wenn Manager ihre Probleme formulieren und in Storys packen. Manager bauen mit LEGO®-Steinen? Entwickelt wurde diese Managementmethode in den 90er-Jahren, auf Anregung des Haupteigentümers der LEGO® A/S, Kjeld Kirk Kristiansen. Kristiansen suchte damals einen wirkungsvollen Prozess zur innovativen Strategieentwicklung für sein Unternehmen und war unzufrieden mit den bei LEGO® eingesetzten konventionellen Methoden. So entstand „LEGO® SERIOUS PLAY® “. Wohl weil es so unglaublich klingt, hat man den Begriff seriös in die Marke eingebaut. Seriös spielen – geht das? Seither gibt es auch in dieser Methodik zertifizierte Moderatoren, die als Trainer Unternehmen zur Verfügung stehen. Zu den Anwendern gehören Großunternehmen, Start-ups, Behörden und auch NGOs (zum Beispiel SOS-Kinderdörfer). Die bunten Bausteine sind damit heute nicht nur in vielen Kinderzimmern, sondern mittlerweile auch in Vorstandsetagen zu finden. Es braucht einen in dieser Methodik ausgebildeten Moderator, weil es nicht nur um das Bauen an sich geht, also die sinnliche Darstellung des zum Beispiel unternehmerischen Problems aus individueller Sicht und seine möglichen Lösungen, sondern auch um das Teilen seiner Geschichte in der Runde. Die LEGO®-Bauten der Manager sind anschaulich und nachvollziehbar, weil die Teilnehmer anfangen, dem Sinnlichen und ihrer Erfahrung Worte zuzuordnen und in Metaphern zu sprechen. Sie kehren zu der Bildsprache der Kindheit zurück, die uns mühsam durch Eltern und Bildungssystem abtrainiert wurde. Die dröge Sprache der Bullet-Points und die Blähworte der Powerpoint-Präsentationen verwandeln sich in anfassbare Beschreibungen. Das hört sich alles nach purem Spaß und Spiel an, und als ob alle mit Begeisterung sofort darauf einsteigen würden. Das ist eine Hürde, denn in der Businesswelt herrscht der Kopf und damit die Rationalität. Aber Gefühl und Geschäft lassen sich nicht trennen: Ein Bankmanager sieht sich eingeengt und verfolgt von Regulierung und Aufsichtsbehörden. LEGO® liefert die Polizisten und Schergen. Der Prozess beginnt mit der Darstellung der Antwort auf die Frage „Wie fühle ich mich, wenn neue Regularien kommen?“. Schrittweise wird die eigene Wahrnehmung, ob bewusst oder unbewusst, visualisiert, ausgebaut, spielerisch mit anderen Teilnehmern des Workshops besprochen und geteilt. Der moderierte Prozess besteht aus drei ElementenFrage, Bauen und Teilen. Ein für den Workshop identifiziertes Problem des Unternehmens wird zerlegt und durch entsprechende Fragestellungen in seinen einzelnen Aspekten hinterfragt. Die Antworten der Teilnehmer werden mit Bausteinen dargestellt und in der Runde Lösungen erarbeitet.
Sachlich-beschreibende Sichtweise
Die weiterführenden und vertiefenden Fragestellungen des Moderators wie: „Wofür steht dieses Brückenteil?“ oder: „Okay, zeigen Sie mir bitte, wo ich das in Ihrem Modell sehen kann“, machen das Problem im Wortsinn begreifbar. Ein anderer Manager stellt seinen Vorgesetzten hinter einer Mauer dar, mit Helm und Waffe – das Chefbüro als Kampfzone. Dabei steht weder die Schönheit noch die Funktionalität des Bauwerks im Vordergrund, sondern einzig und allein, welche individuelle Bedeutung der Baustein ausdrückt. „Was ich nicht sehen kann, kann ich nicht hören“ lautet die Regel, und sie führt zu einer sachlichen und beschreibenden Sichtweise. Der anfänglich zögerliche Prozess nimmt Fahrt auf. Schranken fallen. Die Teilnehmer beginnen sich freizumachen von Scheu und Glaubenssätzen wie „Das kann ich doch gar nicht“, „Was denken die anderen von mir?“, „Ich bin nicht gut genug“. Manche erinnern sich auch durchaus daran, dass LEGO®-Steine sich früher sehr gut zum Werfen eigneten, und nutzen die Flugtauglichkeit, um ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Letzten Endes aber werden Denkblockaden eingerissen, denn das Denken übernehmen die Hände und mobilisieren damit mehr als 80 Prozent der Denk-, Kreativ- und Innovationskapazitäten beider Gehirnhälften. Das ist vermutlich das eigentliche Geheimnis: Statt flacher Grafiken kommt die Feinmotorik ins Spiel, regt andere Hirnareale an und ermöglicht ein ganz anderes Ergebnis. Unbewusstes bricht sich Bahn, steckt vielleicht genau in dem pinkfarbenen Baustein in der obersten Reihe und wird zum konstruktiven Lösungshinweis, wenn Sie den anderen Teilnehmern darüber berichten, warum genau das Ihre Antwort auf die Frage „Wo sehen Sie Ihr Unternehmen in den nächsten zwei Jahren?“ ist. Diese Vorgehensweise folgt ihrem eigenen Gesetz der Beschleunigung. Sehr schnell und immer wieder, nämlich in jeder Runde, landen Ergebnisse oder Ansätze buchstäblich auf dem Tisch. Jedes einzelne Modell steht zunächst für sich, dann verbinden „Connectoren“, die es im Kinderzimmer noch nicht gab, die Fragmente und decken Abhängigkeiten und Wechselwirkungen auf. Rasch nimmt die Darstellung der notwendigen innerbetrieblichen Innovation einen großen Tisch ein.
Steine sind wie Lösungen: knapp
Damit es nicht beim reinen Spiel bleibt, greift der Moderator ein, stellt die Entwicklung immer wieder auf den Prüfstand, lässt jeden die Geschichte dieser entstandenen Landschaft erzählen. Änderungen werden gemeinsam beschlossen und umgesetzt. Und es darf gelacht werden. Die Lockerheit des Kinderzimmers kehrt in die Vorstandsetage zurück. Nicht jeder macht mit. Die erwachsene Ernsthaftigkeit ist die Hürde für LEGO®-Management. Manche verstört, was andere lieben: Dass Spielen und Spaß ausdrücklich erlaubt sind und auf diese Weise erwachsenen- und vorstandstauglich werden. Die lähmende Müdigkeit, die sich bei den üblichen, immer gleichen Präsentationen einstellt, weicht einem konstruktiven und zielgerichteten, sachlichen Austausch. Dabei kann man nicht erwarten, dass es die eine konkrete Antwort auf jede Frage gibt. Was aber entsteht, ist Transparenz, Visibilität, Haptik und die Möglichkeit, physisch um das Geschaffene herumzulaufen, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen, Sachverhalte aus einer anderen Ecke heraus zu betrachten und zu neuen Einsichten und Erkenntnissen zu gelangen. Gemeinsam wird darum gerungen, die weit aufklaffende Lücke zu schließen zwischen „Was erfahre ich heute, wenn neue Regularien auf mein Unternehmen zukommen?“ und „Wie sieht ein ideales Umfeld für einen produktiven Umgang mit regulatorischen Neuerungen aus?“. Es geht nicht ohne Wettbewerb ab. Der Kampf um die besten LEGO®-Steine setzt Emotionen frei, die sich in einem geteilten Verständnis über das „So kann’s klappen“ vereinen. Lösungen sind das knappe Gut. Auch die Knappheit der Steine und oft genug ihre unzureichende Funktionalität kennt man ja schon aus dem Kinderzimmer. Autorin: Sabine Moldenhauer (zertifizierte LEGO® SERIOUS PLAY® Facilitatorin und STRATEGY PIRATE®) Der Artikel erschien in TICHYS EINBLICK 04/2018

Sabine Moldenhauer

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